OLG Koblenz, Urteil vom 27-10-1992 - 3 U 1884/91 - Die Verletzung der Aufklärungspflicht über Mehrkosten bei Tätigkeit als Korrespondenzanwalt

kann zum Verlust des Vergütungsanspruch wegen Aufklärungspflichtverletzung führen.

Wenn der erstinstanzliche Anwalt nicht darauf hinweist, daß die von ihm beabsichtigte Fortsetzung der Korrespondenz mit dem Berufungsanwalt entgeltspflichtig ist, kann er seinen Vergütungsanspruch wegen Aufklärungspflichtverletzung verlieren.

OLG Koblenz, Urteil vom 27-10-1992 - 3 U 1884/91

Zum Sachverhalt:
In einem gegen den Erblasser des Kl. geführten Rechtsstreit waren nach Rechtsmitteleinlegung letztlich die Kosten aller Instanzen der Gegenpartei auferlegt worden. Der bekl. Rechtsanwalt hatte den Erblasser erstinstanzlich vertreten und später mit den Berufungsanwälten des Erblassers korrespondiert. Der Erblasser hatte sowohl während des erstinstanzlichen Verfahrens als auch während des Berufungsverfahrens Vorschuß für den Bekl. bzw. die Berufungsanwälte geleistet und die nach Erlaß des Berufungsurteils vom Bekl. mit 2624,28 DM berechneten Korrespondenzanwaltskosten beglichen. Im Rahmen seiner Endabrechnung kürzte der Bekl. die für die Berufungsinstanz angesetzten Kosten lediglich um die im Kostenerstattungsverfahren für fiktive Informationsreisen anerkannten 248 DM. Der Kl. verlangt im übrigen Rückzahlung der Korrespondenzanwaltskosten mit der Begründung, dem Bekl. sei kein Auftrag erteilt worden, als Korrespondenzanwalt des Erblassers tätig zu sein.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Bekl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

...

II.

Zur Rückzahlung dieser 2376,28 DM ist der Bekl. im Ergebnis zu Recht verurteilt worden, § 812 I 1 Fall 1 BGB. Eine Korrespondenzanwaltsgebühr (§ 52 I BRAGO) für die Berufungsinstanz stand dem Bekl. als erstinstanzlichem Anwalt des Rechtsvorgängers des Kl. nicht zu. Der Bekl. räumt ein, daß er einen ausdrücklichen Vertrag über sein Tätigwerden als Verkehrsanwalt nicht abgeschlossen hat. Er will aber einen stillschweigenden Vertrag daraus herleiten, daß er im Verlauf des Berufungsverfahrens für seinen Mandanten als Verkehrsanwalt tätig geworden sei, indem er für diesen nicht nur die Bestellung der Berufungsanwälte vermittelt und die Berufungseinlegung veranlaßt habe, sondern auch „nach entsprechender Aufforderung durch die Berufungsanwälte“ vom 8. 12. 1983 zu der Berufungsbegründung der damaligen Kl. mit Schreiben vom 16. 1. 1984 nach Rücksprache mit dem Mandanten Stellung genommen habe und mit Schreiben vom 13. 3. 1984 nach erneuter Rücksprache mit dem Mandanten ergänzende Sachinformation erteilt habe.
An die Annahme eines stillschweigenden Abschlusses eines Verkehrsanwaltsvertrages im Berufungsverfahren durch weiteres Tätigbleiben des erstinstanzlichen Anwalts sind jedoch im Interesse der Rechtssicherheit strenge Anforderungen zu stellen, zumal die Kosten des Verkehrsanwalts hier regelmäßig nicht erstattungsfähig sind (BGH, NJW 1991, 2084 ff. (2086 Sp. 1)).

1. Ein erheblicher Teil der Mandantenbetreuung, die der erstinstanzliche Anwalt nach Eingang des erstinstanzlichen Urteils erfahrungsgemäß leistet, wird nach herrschender Rechtsauffassung noch mit den Gebühren für die erste Instanz abgegolten. Dazu gehören - über § 37 Nr. 7 BRAGO hinaus - auch noch eine Besprechung zwischen dem Anwalt und Mandanten über die Richtigkeit der ergangenen Entscheidung und die Aussichten eines Rechtsmittels, die Erörterung, welcher Anwalt mit der Berufungseinlegung zu betrauen sei und die Beauftragung desselben sowie die Weiterleitung aller Handakten an diesen (BGH, NJW 1991, 2084 (2085 Sp. 1)).

2. Ein darüber hinausgehender konkludenter Verkehrsanwaltsauftrag an den erstinstanzlichen Anwalt ließe sich dem Verhalten des Mandanten nur dann entnehmen, wenn es bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte eindeutig und zweifelsfrei als eine auf den Abschluß eines (Verkehrs-) Anwaltsvertrages gerichtete Willenserklärung aufzufassen wäre. Zwar sind diese Voraussetzungen bejaht worden, wenn die Partei die ständige schriftliche und mündliche Information des Berufungsanwalts durch den erstinstanzlichen Anwalt hinnimmt und auch ihre eigenen Erklärungen zur Sache während des Berufungsverfahrens im wesentlichen über diesen Anwalt leitet (KG, JW 1930, 193 (194); OLG Hamm, JurBüro 1953, 257 (259); OLG Koblenz, JurBüro 1986, 1368). Diese Regel gilt aber nicht, wenn wegen der Umstände des konkreten Falles Zweifel daran bestehen, daß die Partei ihr Verhalten als auf den Abschluß eines honorarpflichtigen Verkehrsanwaltsvertrages gerichtet erkannt und gewollt hat (BGH, NJW 1991, 2084 (2086 Sp. 1)).

a) Grundsätzlich muß der Auftrag des Verkehrsanwaltes auf die Führung des Verkehrs mit dem Hauptbevollmächtigten für den ganzen Rechtszug gerichtet sein (Riedel-Sußbauer, BRAGO, 6. Aufl. (1988), § 52 Rdnr. 11). Wenn der Bekl. angibt, er habe „nach entsprechender Aufforderung der Berufungsanwälte“ zu den Angriffen der Berufungsbegründung Stellung genommen, so konnte diese Aufforderung allein keinen Korrespondenzanwalts-Vertrag begründen. Denn es gibt keine Verträge zu Lasten Dritter. Wenn der Bekl. nun von sich aus eine Rücksprache mit dem Mandanten herbeigeführt und dann zu einzelnen Punkten der Berufungsbegründung den Berufungsanwälten des Mandanten Angaben gemacht hat, so brauchte der Mandant darin und in dem in der Folgezeit vom Bekl. in dieser Form beibehaltenen Kontakt noch nicht zwangsläufig einen Vorgang zu sehen, der - über eine bloß „weiterwirkende Betreuung" aufgrund des erstinstanzlichen Mandats hinaus - einen besonderen honorarpflichtigen Verkehrsanwalts-Vertrag begründete. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Mandant als Landwirt juristischer Laie war, also anders als juristisch vorgebildete oder prozeßerfahrene Parteien keinerlei Vorstellung darüber besaß, wann eine weitere Tätigkeit des erstinstanzlichen Anwalts nach Berufungseinlegung in eine besonders zu vergütende Korrespondenztätigkeit „umschlägt“.
Für den Bereich der Prozeßkostenhilfebewilligung ist schon seit langem anerkannt, daß der erstinstanzliche Anwalt, selbst wenn er den ausdrücklichen Auftrag seiner Partei erhält, den Verkehr mit dem Berufungsanwalt zu führen, verpflichtet ist, seine Partei darauf hinzuweisen, daß diese Tätigkeit durch die PKH-Bewilligung nicht gedeckt ist (OLG Dresden, DR 1940, 876; Riedel-Sußbauer, § 52 Rdnr. 6). Diese Hinweispflicht, die verallgemeinerungsfähig (BGH, NJW 1991, 2084 (2086)) und über den Bereich der Prozeßkostenhilfe hinaus bedeutsam ist, entfällt nur dann, wenn der Anwalt davon ausgehen kann, daß die Partei schon um die besondere Honorierung der Korrespondenztätigkeit weiß. Das kann im Streitfall nicht angenommen werden. Es ist anwaltsbekannt, daß die Berechnung von Korrespondenzanwaltsgebühren wegen der meist nicht anerkannten Erstattungsfähigkeit in der Praxis steten Verdruß bereitet. In einem offenen und vertrauensvoll geführten Mandat ist es daher, auch um die bedeutsame Nebenpflicht zur Information über die wirtschaftlichen Risiken zu erfüllen, selbstverständlich, daß spätestens zu dem Zeitpunkt, in dem die Befassung des erstinstanzlichen Anwalts mit der Berufungssache den verkehrshonorarpflichtigen Bereich erreicht, auf die Pflicht zur Zahlung einer Korrespondenzanwaltsgebühr für den Fall der Fortführung dieser Tätigkeit hingewiesen wird. Der Mandant muß in die Lage versetzt werden, informiert und selbstverantwortlich darüber zu entscheiden, ob er unter Inkaufnahme nicht unerheblicher und auch im Falle des vollen Obsiegens kaum abwälzbarer Mehrkosten die - oft nur vermeintlichen - Vorteile einer Korrespondenztätigkeit des erstinstanzlichen Anwalts beansprucht oder unter Vermeidung dieser meist überflüssigen Kosten in unmittelbaren Informationskontakt zum Berufungsanwalt tritt. Letzteres wäre im Falle eines Hinweises laut Klägervortrag geschehen.
Das Bestehen einer Hinweispflicht räumt der Bekl. letztlich selbst ein, wenn er - unsubstantiiert und ohne Beweisantritt - zuletzt geltend macht, er habe „auf die Entgeltlichkeit seiner Tätigkeit“ hingewiesen. Der Senat ist davon überzeugt, daß dies nicht der Fall war. Denn dann hätte nichts näher gelegen, als es von Anfang an so vorzutragen, anstatt das Fehlen eines ausdrücklichen Verkehrsanwaltsauftrages einzuräumen und dessen stillschweigenden Abschluß aus dem „Schriftverkehr mit den Berufungsanwälten“ herzuleiten.

b) Einen Kostenvorschuß auf die Korrespondenzanwaltsgebühr, dessen Anforderung Hinweischarakter haben könnte (KG, JW 1930, 193 (194 Sp. 1 Abs. 4)), hat der Bekl. bezeichnenderweise, abweichend von seiner Handhabung während der Führung des erstinstanzlichen Verfahrens, nicht angefordert. Angefordert wurde nach dem 1983 für den Bekl. geleisteten Vorschuß von 2000 DM Anfang 1984 noch ein Vorschuß für die Berufungsanwälte in Höhe von 1700 DM. Aus der Sicht der unbedarften Partei mußte daher einmal mehr der Eindruck entstehen, weitere Kosten würden nur für die Tätigkeit der Berufungsanwälte anfallen.
Ein erstinstanzlicher Anwalt, der es unterläßt, seine unkundige Partei darauf hinzuweisen, daß die von ihm beabsichtigte Fortsetzung der Korrespondenz mit den beauftragten Berufungsanwälten entgeltspflichtig sei, kann sich in der Regel nicht darauf berufen, er habe die Hinnahme seiner Tätigkeit durch den Mandanten als Annahme einer Verkehrsanwaltsvertragsofferte verstehen dürfen. Zur Betreuung einfacher Mandanten gehört auch die wirtschaftliche Aufklärung über das Entstehen und die mögliche Vermeidung riskanter weil grundsätzlich nicht erstattungsfähiger Mehrkosten.

c) Der Bekl. kann die Anerkennung eines Korrespondenzanwaltsvertrages durch den Erblasser auch nicht daraus herleiten, daß dieser die nach Abschluß des Berufungsverfahrens erstellte Kostenrechnung ohne weiteres bezahlt habe. Die schlichte Bezahlung einer Rechnung kann nicht einen Vertrag ersetzen, der vorher nicht bestanden hat. Zwar kann unter besonderen Umständen eine Zahlung, wenn sie einen bereits bestehenden Streit über das Vorhandensein einer Verpflichtung definitiv ausräumen soll, den Charakter eines abschließenden spätere Rückforderungen ausschließenden Schuldanerkenntnisses haben. Dafür liegt im Streitfall nichts vor. Der Erblasser hat die Zahlung aufgrund seines allgemeinen Vertrauens in die Richtigkeit des anwaltlichen Vorgehens in Unkenntnis des fehlenden Verpflichtungsgrundes geleistet. Darauf ist man klägerseits erst aufmerksam geworden, als man im Rahmen der Überprüfung der Endabrechnung des Bekl. anwaltlichen Rat in Anspruch genommen hat ...

 



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