LG Göttingen, Urteil vom 13.02.1997 - 1 S 366/96 - Auslegung einer Gebührenteilungsvereinbarung bei Terminsvertretungen
Gebührenteilung ohne weitere Konkretisierung meint 50 / 50, aber ...
Wenn eine "Gebührenteilung" zwischen Verkehrs- und Prozeßanwalt vereinbart ist, so ist dies mangels anderweitiger Konkretisierung so aus zu legen, daß der Prozessbevollmächtigte die Hälfte der entstandenen Gebühren erhält und nur den verbleibenden Rest der tatsächlich eingegangenen Gebühren abführen muß. Wenn das Honorar nicht vollständig bezahlt wurde, trägt der Verkehrsanwalt in der Konstellation das Risiko, dass seine "Hälfte" kleiner ist.
Die Entscheidung des LG Göttingen, Urteil vom 13.02.1997 - 1 S 366/96 lautet:
Zum Sachverhalt:
Der kl. Verkehrsanwalt begehrt vom bekl. Prozessbevollmächtigten die Hälfte der tatsächlich eingegangenen Honorare.
Das AG hat den Bekl. zur Zahlung verurteilt. Die Berufung des Bekl. hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
Die Klage ist abzuweisen, denn der Kl. hat keinen Anspruch gegen den Bekl. auf Zahlung von 2316,68 DM aus der zwischen den Parteien getroffenen Gebührenteilungsabrede. Nach dieser Abrede, nach der die anfallenden Gebühren zwischen dem Kl., der als Verkehrsanwalt und dem Bekl., der als Prozeßanwalt tätig war, geteilt werden sollten, hat der Kl. - entgegen der Auffassung des AG - keinen Anspruch darauf, daß der Bekl. dem Kl. die Hälfte der tatsächlich eingenommenen Gebühren überläßt. Vielmehr bedeutet eine derartige Gebührenteilungsabrede, daß sich der Prozeßanwalt verpflichtet, einen Teil der ihm nach der BRAGO zustehenden Gebühren an den Verkehrsanwalt abzuführen, nämlich den über die Hälfte der angefallenen Gebühren hinausgehenden Betrag (Mayer, AnwBl 1984, 242). Daran hat sich der Bekl. unstreitig gehalten und insoweit die Gebühren korrekt berechnet, die Hälfte davon einbehalten und den darüber hinausgehenden Betrag an den Kl. ausgezahlt. Insgesamt waren für die Führung des Rechtsstreits von der Mandantin Anwaltskosten in Höhe von 13854,05 DM zu entrichten. Davon entfielen 9220,70 DM auf die Tätigkeit des Bekl. und 4633,35 DM auf die des Kl. Unstreitig hat die Mandantin gegenüber dem Bekl. die geforderten 9220,70 DM ausgeglichen. Nach Eingang des Geldes hat der Bekl. gegenüber dem Kl. abgerechnet, indem er von den Gesamtgebühren von 13854,05 DM den nach der internen Abrede auf ihn entfallenden Anteil von einer Hälfte, mithin 6927,03 DM behalten und den darüber hinausgehenden Betrag von 2293,67 DM an den Kl. gezahlt hat. Entgegen der Auffassung des Kl. steht ihm nicht die Hälfte des von der Mandantin tatsächlich gezahlten Betrags von 9220,70 DM, mithin 4610,35 DM zu, so daß er unter Berücksichtigung der geleisteten Zahlung von 2293,67 DM den Betrag von 2316,88 DM nicht mehr fordern kann. Der Wortlaut der zwischen den Parteien getroffenen Gebührenabrede ist eindeutig. Nach der Vereinbarung steht dem Bekl. als Prozeßanwalt die Hälfte der angefallenen Gebühren zu, d.h. die Hälfte aller möglichen in Ansatz zu bringenden Gebühren. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Mandantin nicht sämtliche entstandenen Gebühren gezahlt hat. Kann das Honorar nicht vollständig erlangt werden, beginnt nämlich die Pflicht des Prozeßanwalts zur Abführung des vereinbarten Anteils erst, wenn er bzgl. seines Anteils befriedigt ist. Dies folgt aus der Natur der Absprache, die dahin geht, daß der Prozeßanwalt von den ihm zustehenden Gebühren einen Teil abführen soll (Mayer, AnwBl 1984, 242). Nach Auffassung der Kammer kommt hier auch keine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend in Betracht, daß die Rechtsanwälte verständigerweise das tatsächlich erzielte Honorar teilen wollen, wenn die angefallenen Gebühren nicht in voller Höhe beitreibbar sind (so LG Memmingen, NJW 1996, 64). Gem. § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Die ergänzende Vertragsauslegung setzt jedoch voraus, daß der Vertrag eine Regelungslücke, eine „planwidrige Unvollständigkeit“ enthält (BGHZ 125, 7 = NJW 1994, 1008 (1011)). Diese Regelungslücke kann darauf beruhen, daß die Parteien einen Punkt bewußt offen gelassen haben, daß die Parteien an einen regelungsbedürftigen Punkt nicht gedacht haben oder das sich wirtschaftliche oder rechtliche Verhältnisse geändert haben. Die Kammer geht nicht davon aus, daß die Parteien bei der Gebührenteilungsabrede den Fall, daß ggf. die angefallenen Gebühren nicht in voller Höhe beitreibbar sind, nicht bedacht haben. Beide Parteien sind Rechtsanwälte, also rechtskundig und sich daraus der Konsequenzen ihrer Formulierungen bewußt.
Hinzu kommt, daß der Bekl. für eine bestimmte Vergütung, nämlich die Hälfte der anfallenden Gebühren, tätig werden wollte. Er konnte deshalb für seine Tätigkeit in Zusammenarbeit mit dem Verkehrsanwalt eine nach der BRAGO bestimmbare Vergütung erwarten. Er, der den Mandanten und auch dessen Prozeßgegner in aller Regel nicht kennt, will das Insolvenzrisiko für einen möglichen Gebührenausfall nicht tragen. Bei einer wie hier eindeutigen Gebührenabrede in der Form, daß die anfallenden Gebühren hälftig geteilt werden sollen, ist deshalb nicht davon auszugehen, daß die Parteien einen Gebührenausfall nicht bedacht haben. Auch kann eine Regelungslücke nicht daraus hergeleitet werden, daß sich eine eindeutige Regelung als unbillig erweist (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 56. Aufl., § 157 Rdnr. 3).