Verfassungsmäßigkeit des geltenden Umsatzsteuerrechts

BVerfG, Urteil vom 20. 12. 1966 - 1 BvR 320/57, 70/63

GG Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 12; 9. UmsStÄndG Art. 2; 11. UmsStÄndG Art. 1 Nr. 1

Der Mangel an Wettbewerbsneutralität des geltenden Umsatzsteuergesetzes, soweit es sich um die „einstufigen" und „mehrstufigen" Unternehmen handelt, muß bis zum Abschluß der eingeleiteten und in angemessener Zeit vom Gesetzgeber zu verabschiedenden Umsatzsteuerreform hingenommen werden.

Dasselbe gilt für die Organschaft.

BVerfG, Urteil vom 20. 12. 1966 - 1 BvR 320/57, 70/63

Aus den Gründen:

A. I. 1. Die deutsche Umsatzsteuer hat ihren Ursprung in der Finanznot des ersten Weltkrieges: Das Gesetz über einen Warenumsatzstempel v. 26. 6. 1916 führte eine Abgabe von 0,1% zunächst nur von allen Lieferungen eines gewerblichen Betriebes ein; das UmsStG v. 26. 7. 1918 dehnte die Steuerpflicht auf alle Lieferungen und Leistungen aus.

In der folgenden Zeit wurde nicht nur der Steuersatz erheblich erhöht, sondern auch das Umsatzsteuerrecht weiter ausgestaltet. Erneut kodifiziert wurde es durch das UmsStG v. 16. 10. 1934 (RGBl. I 942). Nach zahlreichen Änderungen hat der Bundesminister der Finanzen am 1. 9. 1951 eine Neufassung bekanntgemacht (BGBl. I 791) - UmsStG -. In dieser Fassung gilt das Gesetz noch heute; in Einzelheiten ist es mehrfach geändert worden.

Das BVerfG hat durch die Entscheidung v. 5. 3. 1958 (BVerfGE 7, 282 = NJW 58, 540) den seit 1934 geltenden § 8 für nichtig erklärt. Er lautete:

„Zusatzbesteuerung für mehrstufige Unternehmen

§ 8

Der Reichsminister der Finanzen wird ermächtigt, Maßnahmen zum Ausgleich der verschiedenen Umsatzsteuerbelastung der einstufigen und der mehrstufigen Unternehmen zu treffen."

Das Aufkommen der Umsatzsteuer fließt dem Bunde zu (Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG); es betrug im Rechnungsjahre 1965 brutto rund 24 Milliarden DM und damit etwa 41% der Steuereinnahmen des Bundes. Dem Bund steht die konkurrierende Gesetzgebung über die Umsatzsteuer sowie ihre Verwaltung zu (Art. 105 Abs. 2 Nr. 1, Art. 108 Abs. 1 GG).

2. Den allgemeinen Steuergegenstand bestimmt § 1 Nr. 1 UmsStG wie folgt:

„Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. …"

Unternehmer in diesem Sinne ist, „wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt" (§ 2 Abs. 1 Satz 1). Sein Unternehmen kann aus mehreren Betrieben bestehen, auch wenn die Betriebe ganz verschiedenartig sind. „Das Unternehmen umfaßt die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers" (§ 2 Abs. 1 Satz 2).

Der Begriff der Lieferung ist in § 3 des Gesetzes dahin definiert: „Lieferungen sind Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer … befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen."

Der Unternehmer vollbringt die Lieferung, indem er den Gegenstand an einen Abnehmer, also an eine andere Person weitergibt. Eine solche Lieferung wird - unter dem Aspekt des Weges der Ware vom Erzeuger zum Verbraucher - häufig als „Phase" oder als „Stufe" bezeichnet. Da das Entscheidende die Übertragung der Verfügungsgewalt an eine andere Person ist, wird diese Lieferung von Rechtsprechung und Rechtslehre als „Außenlieferung" oder „Außenumsatz" gekennzeichnet.

Damit scheiden als steuerpflichtig solche lieferungsartigen Vorgänge aus, bei denen ein Gegenstand innerhalb desselben Unternehmens von einem Betrieb an einen anderen oder von einer Betriebsabteilung an eine andere weitergegeben wird, also in der wirtschaftlichen Verfügungsgewalt desselben Unternehmers verbleibt. Diese Vorgänge werden allgemein als „Innenlieferungen" bezeichnet.

Besteuerungsmaßstab ist das von dem leistenden Unternehmen vereinnahmte Entgelt (§ 5). Der Steuersatz, der Ursprung lieh 0,1% des Entgelts betragen hatte, wurde mehrfach geändert Vom 1. 1. 1932 ab betrug er allgemein 2%, vom 1. 1. 1946 ab 3%. Seit dem 1. 7. 1951 gilt ein allgemeiner Satz von 4% (§ 7 Abs. 1 UmsStG).

Aus wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen sind gewisse Umsätze steuerfrei (§ 4) - so allgemein die Ausfuhr oder die Lieferungen landwirtschaftlicher Produkte und mancher Lebens mittel - oder mit einem geringeren Satz zu versteuern (§ 7 Abs. 2 bis § 7 c); so beträgt der Steuersatz für bestimmte Lieferungen in Großhandel nur 1% (§ 7 Abs. 3, §§ 7 b und 7 c). Unternehmer mit einem jährlichen Gesamtumsatz bis 120 000 DM genießen Ermäßigungen (§ 7 a).

Steuerschuldner ist der liefernde Unternehmer (§ 9). Das UmsStG setzt stillschweigend voraus, daß er den von ihm zu zahlenden Steuerbetrag im Preise an seinen Abnehmer abwälzt Es verbietet aber grundsätzlich, die Steuer neben dem Entgelt gesondert anzufordern (§ 10).

3. Die nach diesem System erhobene Umsatzsteuer wird als eine „kumulative Allphasenbruttoumsatzsteuer" bezeichnet Steuerpflichtig sind nicht nur eine einzige oder einzelne Umsatzphasen - wie etwa die Lieferung nur des Herstellers (Herstellerumsatzsteuer) oder nur des Einzelhändlers (Kleinhandelsumsatzsteuer) -, sondern alle Fälle (Phasen) der Lieferung eines Unternehmens an einen Abnehmer. Die Steuer wird von dem vollen Entgelt für die jeweilige Lieferung erhoben. Auch soweit das Entgelt den in früheren Phasen gezahlten Betrag an Umsatzsteuer enthält, ist es Besteuerungsmaßstab.

Die Beschränkungen des Steuergegenstandes auf Außenlieferungen, das Entgelt als alleiniger Besteuerungsmaßstab sowie der feste Steuersatz (von allgemein 4%) sind die Faktoren, die den Steuerbetrag für den einzelnen Umsatz ergeben. Unabhängig ist seine Höhe von der jeweiligen Wertmehrung, die der Gegenstand in der Hand des liefernden Unternehmens erfahren hat, oder von der Höhe der Steuerbeträge, die die in der Umsatzkette vorausgehenden Unternehmen aufgewendet haben.

Ein Produkt wird, bevor es den Endabnehmer erreicht, regelmäßig eine mehr oder weniger lange Kette von Fertigungs- und Handelsstufen (Gliedern) durchlaufen. Unternehmen, die mehrere Glieder einer solchen Produktionskette in sich vereinen, werden allgemein als „mehrstufige", diejenigen, die nur ein Glied umfassen, allgemein als „einstufige" Unternehmen bezeichnet.

4. Der Begriff „umsatzsteuerliche Organschaft" - kurz: Organschaft - bezeichnet die umsatzsteuerlichen Wirkungen, die an den tatsächlichen Zustand der Beherrschung einer juristischen Person des privaten Rechts durch einen Unternehmer anknüpfen. Sie bestehen in folgendem: Lieferungen innerhalb des Organkreises, d.h. von dem herrschenden an die beherrschten Unternehmen und umgekehrt, sowie zwischen den beherrschten Unternehmen untereinander gelten als Innenlieferungen und sind daher umsatzsteuerfrei. Schuldner der Umsatzsteuer ist nur das herrschende Unternehmen, und zwar sowohl für die eigenen Außenlieferungen als auch für die der „Töchter" an außerhalb des Organkreises stehende Abnehmer. Dabei kommt es auf die Rechtsform des beherrschenden Unternehmens nicht an; es kann eine natürliche Person, eine Personengesellschaft jeder Rechtsform oder eine juristische Person sein; beherrschtes Unternehmen kann dagegen nur eine juristische Person des privaten Rechts sein. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UmsStG definiert die Organschaft folgendermaßen:

„Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt,

… 2. wenn eine juristische Person dem Willen eines Unternehmers derart untergeordnet ist, daß sie keinen eigenen Willen hat …"

Diese Organschaft ist erstmalig im UmsStG v. 16. 10. 1934 geregelt worden. Nachdem sie durch eine Maßnahme des Kontrollrats ab 1. 1. 1946 im wesentlichen außer Kraft gesetzt war, ist sie durch das 9. UmsStÄndG v. 18. 10. 1957 (BGBl. I 1743) wiederhergestellt worden. Das Gesetz v. 16. 8. 1961 (BGBl. I 1330) hat ihre Voraussetzungen erschwert.

II. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, das System der Allphasenbruttoumsatzsteuer sowie die Organschaft benachteiligten sie im Wettbewerb gegenüber den mehrstufigen Unternehmen, bedrohten ihre Existenz und seien daher verfassungswidrig. …

B. Die Verfassungsbeschwerden können im Ergebnis keinen Erfolg haben.

I. 1. Das GG hat die gegenwärtige Ausgestaltung der Umsatzsteuer nicht schon als materiell verfassungsmäßig anerkannt. Die Art. 106 Abs. 1 und 108 Abs. 1, in denen die Umsatzsteuer namentlich aufgeführt ist, enthalten außer der ausdrücklichen Regelung der Verwaltung und der Verteilung des Steueraufkommens allenfalls eine Billigung ihrer Struktur im großen; sie stellen klar, daß die Erhebung einer Steuer, die ihrem Wesen nach Umsatzsteuer ist, also hauptsächlich die von Unternehmen getätigten Umsätze trifft, nicht verfassungswidrig ist. Die Ausprägung dieser Steuer im einzelnen, insbesondere die hier von den Beschwerdeführerinnen beanstandete Ungleichheit, ist damit noch nicht der verfassungsrechtlichen Nachprüfung entzogen.

2. Auch die bisherige Rechtsprechung des BVerfG steht der von den Beschwerdeführerinnen erbetenen verfassungsrechtlichen Nachprüfung nicht entgegen. Allerdings hat das BVerfG seinen Entscheidungen auf dem Gebiete des Umsatzsteuerrechts, insbesondere zur Gültigkeit der Ermächtigung in §§ 8 und 18 Abs. 1 Nr. 1 UmsStG (BVerfGE 7, 282 = NJW 58, 540), zur Weitergeltung der Zusatzsteuer in der Textilwirtschaft (BVerfGE 12, 341 = NJW 61, 1395) sowie zum Ausschluß eines besonderen Fabrikationsunternehmens von der Großhandelsvergünstigung (BVerfGE 19, 64) das geltende Umsatzsteuersystem zugrunde gelegt. Indessen handelte es sich damals nicht um denselben Gegenstand wie jetzt; es ging um klar begrenzte Einzelfragen aus dem Umsatzsteuerrecht, die für sich entschieden werden konnten. Aus diesem Anlaß das Gesamtproblem der Verfassungsmäßigkeit des geltenden Umsatzsteuersystems unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit aufzurollen, hätte eine Ausweitung des Prozeßstoffes bedeutet, die weder dem Willen der damaligen Prozeßbeteiligten entsprochen hätte noch - angesichts der Bedeutung und Schwierigkeit der hierbei auftretenden Probleme - sachdienlich gewesen wäre (vgl. BVerfGE 6, 273 [282] = NJW 57, 665).

II. 1. Der an den Gleichheitssatz gebundene Gesetzgeber kann grundsätzlich selbst diejenigen Sachverhalte auswählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfen, die er also im Rechtssinne als „gleich" ansehen will. Da die Sachverhalte in der Lebenswirklichkeit sich nie völlig gleichen, müssen gewisse Verschiedenheiten stets vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber muß aber seine Auswahl sachgerecht treffen; es kommt darauf an, ob die Unterschiede in den zu regelnden Sachverhalten „für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise" so erheblich sind, daß ihre Außerachtlassung als willkürlich bezeichnet werden müßte (BVerfGE 1, 14 [52] = NJW 51, 877; seitdem ständige Rechtsprechung). Diese Grundsätze gelten in besonderem Maße für Steuergesetze; da sie einen besonders empfindlichen Eingriff in die Vermögens- und Rechtssphäre der Steuerpflichtigen enthalten, müssen sie dem Gedanken einer möglichst gleichmäßigen Belastung aller Steuerpflichtigen besonders sorgfältig Rechnung tragen.

Andererseits umfassen sie in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens; daher müssen sie, um praktikabel zu sein, die Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und damit in weitem Umfange die Besonderheiten nicht nur des einzelnen Falles, sondern auch ganzer Gruppen vernachlässigen (BVerfGE 13, 331 [341] = NJW 62, 435). Eine gewisse ungleiche wirtschaftliche Auswirkung auf die einzelnen Steuerschuldner und ihre Wettbewerbslage ist daher bei Steuergesetzen unvermeidbar und hinzunehmen. Jede Steuer greift irgendwie in das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte ein; eine Steuer, die in jeder Hinsicht völlig wettbewerbsneutral wäre, gibt es nicht und ist kaum denkbar.

Die Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers ist aber nicht unbeschränkt; gewisse äußerste Grenzen sind auch ihm gesetzt. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung einer Regelung auf die Steuerzahler darf ein gewisses Maß nicht übersteigen. Die steuerlichen Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Nur dann ist diese Ungleichheit von den Betroffenen hinzunehmen. Nur geringfügige oder nur in besonderen Fällen auftretende Ungleichheiten sind freilich unbeachtlich (BVerfGE 13, 331 [341] = NJW 62, 435). Wirkt sich jedoch ein Steuergesetz, das durch eine besonders weite Fassung des typisierten Sachverhalts äußerlich eine ungleiche Behandlung vermeidet, praktisch dahin aus, daß ganze Gruppen von Steuerpflichtigen wesentlich stärker belastet sind als andere und dadurch in eine empfindlich ungünstigere Wettbewerbslage geraten, so können diese ungleichen Folgen in einem Mißverhältnis zu den mit der Typisierung verbundenen Vorteilen stehen. Ein solches Steuergesetz kann dem Art. 3 Abs. 1 GG widersprechen (vgl. BVerfGE 8, 51 [64] = NJW 58, 1131).

2. Aus dieser Sicht genügt die geltende Ausprägung der Umsatzsteuer in ihrer Grundlage dem Gleichheitssatz. Der Gesetzgeber durfte als einzigen Steuergegenstand den Außenumsatz auswählen und damit den sog. Innenumsatz von der Steuerpflicht ausnehmen, obwohl beide Umsatzformen gewisse Eigenschaften gemeinsam haben. Es ist auch nicht richtig, daß dieser Steuergegenstand für sich allein schon zu der von den Beschwerdeführerinnen beanstandeten Wettbewerbsverzerrung führt; trotz des gleichen Steuergegenstandes vermeidet auch nach der Ansicht der Beschwerdeführerinnen der Entwurf eines Nettoumsatzsteuergesetzes die von ihnen geltend gemachte Wettbewerbsbenachteiligung.

Ebensowenig ist zu beanstanden, daß der Gesetzgeber das von dem Unternehmen für den Außenumsatz vereinnahmte Entgelt zum Besteuerungsmaßstab genommen und einen festen Steuersatz von regelmäßig 4% festgesetzt hat. Dieses Prinzip verbürgt zunächst ein hohes Maß von Gleichheit: für einen gleichhohen Außenumsatz hat jedes Unternehmen einen gleichhohen Umsatzsteuerbetrag zu entrichten.

3. Dabei bleibt der Grad der im einzelnen Unternehmen jeweils erzielten Wertsteigerung des umgesetzten Gegenstandes außer Betracht. Diese Regelung begünstigt grundsätzlich und tendenziell die mehrstufigen gegenüber den einstufigen Unternehmen im wirtschaftlichen Wettbewerb. Darüber besteht Einverständnis.

a) Die Kette von Fertigungs- und Handelsstufen (Gliedern), die ein Produkt auf dem Wege zum Endabnehmer regelmäßig durchläuft, beginnt mit der Urproduktion, umfaßt die vielfachen Stufen der Weiterverarbeitung sowie den Handel. Je mehr Glieder dieser Kette durch - umsatzsteuerpflichtige - Außenlieferungen verbunden sind, desto höher wird es in der Regel mit Umsatzsteuer belastet sein; anders ausgedrückt: ein desto höherer Betrag an Umsatzsteuer muß weitergewälzt werden. Je mehr Glieder dagegen in ein und demselben - „produktionstieferen" - Unternehmen zusammengefaßt sind, so daß der Übergang von einem Glied der Kette zum anderen nur eine - umsatzsteuerfreie - Innenlieferung darstellt, desto geringer wird gewöhnlich die Belastung mit Umsatzsteuer (der weiterzuwälzende Betrag an Umsatzsteuer) sein.

Die Vielgestaltigkeit der wirtschaftlichen Wirklichkeit läßt es freilich nicht immer zu, die einzelnen Glieder (Fertigungsstufen) klar voneinander abzugrenzen und damit die einstufigen von den mehrstufigen Unternehmen deutlich zu scheiden. Doch gibt es sicher Unternehmensgebilde, die aus mehreren - unter Umständen zahlreichen - einzelnen Betrieben oder Betriebsabteilungen bestehen, in denen auf Grund von technisch aufeinanderfolgenden oder sich ergänzenden Fertigungsvorgängen (d.h. einer „vertikalen Konzentration") zahlreiche Glieder einer zusammenhängenden Produktionskette vereint sind; diese Unternehmen besitzen eine große „Produktionstiefe". Es gibt aber auch - möglicherweise weniger kapitalkräftige - Unternehmen von geringerer Produktionstiefe, die sich auf eine Fertigungsstufe (unter Umständen auf wenige Fertigungsstufen) beschränken und den Anschluß an die nächste Fertigungsstufe nur durch eine Außenlieferung bewirken können.

b) Die mehrstufigen - produktionstiefen - Unternehmen vermeiden für die Weitergabe einer Ware von einem Glied der Herstellungskette zu dem nächsten Außenlieferungen und beschränken sich insoweit auf Innenlieferungen. Damit ersparen sie eine Belastung der Erzeugerkette mit Umsatzsteuer, die im Preise weitergewälzt werden müßte, und damit Selbstkosten. Dagegen müssen einstufige Unternehmen, wenn sie ihre Ware innerhalb einer sonst gleichen Produktionskette an ein anderes - meist einstufiges - Unternehmen weitergeben, eine - umsatzsteuerpflichtige - Außenlieferung vollziehen. Ein Enderzeugnis, an dessen Herstellungskette mehrere einander beliefernde einstufige Unternehmen

beteiligt sind, ist deshalb mit höherer Umsatzsteuer belastet und betriebswirtschaftlich nur mit höheren umsatzsteuerlich bedingten Selbstkosten herzustellen als ein gleichartiges Gut, welches - bei sonst gleicher Art der Herstellung - lediglich durch ein oder wenige mehrstufige Unternehmen hergestellt ist. Die mehrstufigen Unternehmen sind also, von der umsatzsteuerlichen Belastung aus gesehen, im Vorteil vor den einstufigen Unternehmen; ihre geringeren umsatzsteuerlich bedingten Selbstkosten ermöglichen eine Preisunterbietung oder - bei gleichen Entgelten - die Erzielung eines höheren Gewinns.

Dieser mögliche Vorteil der mehrstufigen Unternehmen wächst naturgemäß mit der Höhe des Umsatzsteuersatzes. Die ungleiche Belastung einer Ware mit der Umsatzsteuer fiel bei dem ursprünglichen niedrigen Satz von 0,1% nicht ins Gewicht; mit der fortschreitenden Erhöhung des Steuersatzes auf schließlich 4% ist sie immer fühlbarer geworden.

c) Das Ergebnis, daß das geltende Umsatzsteuersystem die mehrstufigen (produktionstiefen) Unternehmen gegenüber den einstufigen (weniger produktionstiefen) bevorzugt, gilt freilich nicht uneingeschränkt. Die Mehrstufigkeit (größere Produktionstiefe) ist einwandfrei nur für den Fall von Vorteil, daß einer Kette einstufiger Unternehmen ein einzelnes mehrstufiges Unternehmen gegenübersteht. Steht dagegen einer Kette mehrerer einstufiger Unternehmen eine Kette einiger mehrstufiger Unternehmen gegenüber, so ist nicht von vornherein eine Bevorzugung der letzteren Unternehmensart gegeben. Vielmehr hängt es von der Verteilung der jeweiligen Wertschöpfung auf die hintereinandergeschalteten Unternehmen ab, ob die eine oder die andere Unternehmensart stärker belastet ist. Je stärker in einer Kette von mehrstufigen Unternehmen die Wertschöpfung auf die Anfangsglieder der Kette verlagert und je geringer sie damit in den Endgliedern ist, desto eher wird der Vorzug der Mehrstufigkeit gemindert oder aufgehoben; es ist sogar möglich, daß die Herstellung und der Vertrieb eines Produktes durch mehrstufige Unternehmen eine größere umsatzsteuerliche Belastung herbeiführt, als wenn sie durch einstufige Unternehmen erfolgt.

Eine Gesamtbetrachtung, wie sie insbesondere in den fachwissenschaftlichen und steuerpolitischen Erörterungen ihren Ausdruck findet, zeigt jedoch, daß jedenfalls ganz überwiegend die einstufigen Unternehmen benachteiligt sind und ihre größere Belastung durch zweifellos auch vorhandene gegenteilige Möglichkeiten nicht aufgewogen wird.

4. Gegenüber diesem Mangel an Wettbewerbsneutralität hat die geltende Ausprägung der Umsatzsteuer unleugbar auch große Vorteile. Sie ist an Klarheit der Regelung und Einfachheit der Handhabung sowohl für die Finanzverwaltung als für die steuerpflichtigen Unternehmen jeder anderen möglichen Art einer Umsatzsteuer überlegen. Auch die zahlreichen Befreiungen und Vergünstigungen sind nicht geeignet, dieses Ergebnis in Frage zu stellen; denn sie gelten nur innerhalb eines umgrenzten Bereichs und lassen die Steuerpflicht der außerhalb ihres Geltungsbereichs liegenden Umsätze unberührt. Diese besonderen Vorzüge haben auch eine besonders hohe Nettoergiebigkeit zur Folge.

Eine relativ hohe Krisenfestigkeit eignet allerdings jeder Art von Umsatzsteuer und kommt daher als besonderer Vorteil ihrer jetzt geltenden Ausprägung nicht in Betracht.

5. Gegenüber diesem Vorteil fällt aber ins Gewicht, daß die Benachteiligung der einstufigen Unternehmen gegenüber den mehrstufigen sich nicht auf Sonderfälle beschränkt, sondern eine erhebliche Gruppe von Unternehmen umfaßt.

Die Benachteiligung ist auch nicht nur geringfügig, sondern hat ein für die Wettbewerbslage der betroffenen Unternehmen nicht zu übersehendes Gewicht. Die umsatzsteuerliche Belastung kann für die Wettbewerbslage von Unternehmen von Bedeutung sein; dies ergibt sich mittelbar schon daraus, daß der Gesetzgeber und die in Frage kommenden Steuerpflichtigen die vielfachen Umsatzsteuervergünstigungen und -befreiungen als ein geeignetes Mittel ansehen, um wirtschafts- oder sozialpolitische Ziele zu erreichen.

a) Es mag sein, daß die industriellen Unternehmen wegen gewisser Steuerbefreiungen, insbesondere für die Ausfuhrlieferungen (§ 4 Nr. 3 UmsStG), im Durchschnitt für den einzelnen Umsatz tatsächlich nicht 4%, sondern nur 2,7% Umsatzsteuer aufzubringen haben; dieser durchschnittlich geringere Steuersatz ist aber für die Wettbewerbslage gerade der einstufigen Unternehmen gegenüber den mehrstufigen nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Auf der anderen Seite nimmt der Konkurrenzdruck der durch die geltende Umsatzsteuer bevorzugten mehrstufigen Unternehmensgebilde im Laufe der Zeit immer weiter zu; ihr Umsatz und ihr Marktanteil wachsen in der Regel stärker als die der anderen Unternehmen. Ein Schutz des einstufigen Unternehmens durch Kartellpreise ist durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen weitgehend untersagt.

b) Demgegenüber bringen gewisse entgegenwirkende Momente keine wesentliche Milderung. Freilich ist die Umsatzsteuer auf Abwälzung angelegt; in der Regel wird sie auch abgewälzt werden. Diese Möglichkeit, die sie mit allen sonstigen Selbstkosten teilt, schließt aber die Erfahrungstatsache nicht aus, daß die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens in weitestem Umfange gerade von seinen Selbstkosten abhängt. Der als Umsatzsteuer abzuführende Betrag ist allerdings immer nur ein Kostenfaktor unter zahlreichen anderen und viel wesentlicheren, deren Höhe dazu noch von Betrieb zu Betrieb schwankt; das Besondere der Umsatzsteuer besteht aber gerade darin, daß sie dem Unternehmen vom Staat auferlegt ist, während die anderen Kostenfaktoren, wie etwa die Aufwendungen für das Anlagekapital, die Vorprodukte oder die Arbeitskräfte, im wesentlichen von staatlichen Maßnahmen unabhängig sind und auch in weitem Umfange von den einzelnen Unternehmen beeinflußt werden können, z.B. durch die Auswahl des Standortes oder des Herstellungsverfahrens. Zweifellos gibt es zahlreiche Fabrikate, deren Absatz nicht allein durch den Preis, sondern durch andere Momente, so etwa den Geschmack, die Bequemlichkeit, Brauchbarkeit oder Gewohnheit, bestimmt wird; andererseits gilt dies nicht allgemein. Keinesfalls ist der Preis aber als ein entscheidender Faktor im Wettbewerb auszuschließen. Höhere Gewinne, die die mehrstufigen Unternehmen durch niedrigere, umsatzsteuerlich bedingte Selbstkosten erzielen, werden in gewissem Umfange durch Gewinnsteuern wieder weggesteuert, jedoch nie vollständig und nicht, soweit etwa Steuervergünstigungen Platz greifen; soweit mehrstufige Unternehmen nur geringe oder keine Gewinne erzielen, ist für einen solchen Ausgleich nur ein geringer oder überhaupt kein Raum. Die zahlreichen im UmsStG enthaltenen Steuerbefreiungen und -ermäßigungen kommen nur bestimmten Wirtschaftszweigen oder -gruppen, nicht aber allgemein gerade den einstufigen Industrieunternehmen im Unterschied zu den mehrstufigen zugute. Daß das Risiko und die Krisenanfälligkeit der mehrstufigen Unternehmen höher seien als die der einstufigen, läßt sich generell nicht feststellen.

c) Auch die Bundesregierung und der Bundesminister der Finanzen haben immer wieder auf die mangelnde Wettbewerbsneutralität der Umsatzsteuer hingewiesen und zu erkennen gegeben, daß die Beseitigung dieses Mangels ein vordringliches wirtschaftliches und steuerpolitisches Ziel sei (wird ausgeführt).

d) Nach alledem führt das geltende System grundsätzlich und tendenziell dazu, daß die mehrstufigen Unternehmen mit geringeren umsatzsteuerlich bedingten Selbstkosten belastet sind als die einstufigen und daher diesen gegenüber im Wettbewerb bevorzugt werden. Die höhere Belastung mit umsatzsteuerlich bedingten Selbstkosten schmälert die Gewinne der einstufigen und erhöht im Vergleich dazu die der mehrstufigen. In einem solchen Falle stehen dann den einstufigen weniger Mittel als ihren mehrstufigen Konkurrenten für eine insbesondere durch technische Neuerungen etwa gebotene Selbstfinanzierung zur Verfügung; dadurch wird aber grundsätzlich ihre Wettbewerbsfähigkeit auf lange Sicht entscheidend beeinträchtigt werden.

6. Die substantiierten Darlegungen der Beschwerdeführerinnen haben dem BVerfG die Überzeugung vermittelt, daß auch sie durch die höhere Umsatzsteuerbelastung gegenüber ihren mehrstufigen Konkurrenten erheblich benachteiligt sind.

7. Daß die geltende Ausprägung der Umsatzsteuer, nach der jeder Unternehmer ohne Rücksicht auf den ein- oder mehrstufigen

Aufbau (die Produktionstiefe) seines Unternehmens für einen gleich hohen Außenumsatz ausnahmslos einen gleichhohen Steuerbetrag zu entrichten hat, die Wettbewerbslage der einstufigen Unternehmen gegenüber den mehrstufigen grundsätzlich schmälert, hat der Gesetzgeber erkannt, aber nicht gebilligt oder auch nur als unabänderlich in Kauf genommen. Vielmehr war er bestrebt, die ungleiche Belastung durch geeignete Maßnahmen zu beheben (wird dargelegt).

8. Die(se) Konzeption des Gesetzgebers hatte (also) ein UmsStG geschaffen, das ein relativ ausgewogenes System des ganzen Umsatzsteuerrechts erstrebte. Die Verwirklichung der Konzeption auf dem eingeschlagenen Wege ist jedoch gescheitert: Die erteilte Ermächtigung genügte den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht und wurde vom BVerfG in seiner Entscheidung v. 5. 3. 1958 (BVerfGE 7, 282 = NJW 58, 540) für nichtig erklärt. Der danach als gültig bestehengebliebene Wortlaut des Gesetzes enthält nicht mehr die rechtliche Möglichkeit, die verschiedene Belastung der einstufigen und der mehrstufigen Unternehmen im Verordnungswege auszugleichen, und stellt ausnahmslos die Außenumsätze der einstufigen denen der mehrstufigen Unternehmen gleich. Eine solche Regelung widerspricht aber den eigenen Vorstellungen des Gesetzgebers, der gerade eine solche unabänderliche Gleichstellung vermeiden, die ungleiche Behandlung der Außenumsätze der beiden Unternehmensgruppen ermöglichen und damit eine gerechtere umsatzsteuerliche Belastung herbeiführen wollte. Der jetzige Wortlaut des Gesetzes wird also den Vorstellungen, die der Gesetzgeber selbst von einer dem Gleichheitssatz genügenden Belastung der ein- und mehrstufigen Unternehmen hatte, nicht mehr gerecht.

9. Durch die bezeichnete Entscheidung des BVerfG ist aber die ursprüngliche Konzeption des Gesetzgebers nicht etwa hinfällig geworden. Sie betraf nicht den materiellen Gehalt seiner Konzeption, sondern hat nur den Weg, auf dem der Gesetzgeber seine Absicht verwirklichen wollte, als verfassungsrechtlich ungangbar bezeichnet.

Der Gesetzgeber selbst hat auch daraufhin seine ursprüngliche Absicht, ein ausgewogenes System der umsatzsteuerlichen Belastung zu schaffen, nicht aufgegeben und nicht endgültig die Außenumsätze der einstufigen und der mehrstufigen Unternehmen umsatzsteuerlich gleichbehandeln wollen. Im Gegenteil hat er in seinen Bestrebungen, einen Ausgleich zu schaffen, nie nachgelassen.

Eine vom Bundesminister der Finanzen beauftragte, aus Steuersachverständigen zusammengesetzte Kommission erstattete im Oktober 1959 den „Bericht der Kommission zur technischen Prüfung der Umsatzsteuer-Reformvorschläge", der im Ergebnis von einer Reform abriet. Im August 1960 legte der Bundesminister der Finanzen eine „Studie zu einer Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug in der Form eines Gesetzentwurfes mit Erläuterungen" der Öffentlichkeit vor. Die Auswirkungen dieser Besteuerungsform sind darin erörtert. Im Jahre 1962 betrafen zwei große Anfragen im Bundestag die Umsatzsteuerreform (BTDrucks. IV/548 und 648). Aus der Mitte des Bundestags wurde ein Gesetzentwurf über ein neues UmsStG, das auf dem Prinzip der Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug beruhte, eingebracht (BTDrucks. IV/660). Im Herbst 1962 schlug die EWG-Kommission auf Grund mehrjähriger Untersuchungen dem Rat den Erlaß einer von ihr entworfenen „Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten betreffend die Umsatzsteuer" vor, nach der die Mitgliedstaaten stufenweise ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem einfuhren sollen. Bundestag und Bundesrat haben diesem ihnen von der Bundesregierung, zugeleiteten Vorschlag zugestimmt.

Schließlich suchte die Bundesregierung mit dem Entwurf eines UmsStG v. 30. 10. 1963 (BTDrucks. IV/1590) eine Abhilfe zu schaffen durch die Einfuhrung einer „Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug": Wie bisher sollte Steuerschuldner der die Leistung erbringende Unternehmer und alleiniger Steuergegenstand sein Außenumsatz sein; Besteuerungsmaßstab sollte das für den Außenumsatz gezahlte Entgelt und der Steuersatz ein fester Hundertsatz dieses Entgeltes bleiben. Das entscheidend Neue lag darin, daß unter Erhöhung des Steuersatzes auf 10% der Steuerschuldner von der danach sich ergebenden Steuerschuld - vereinfacht ausgedrückt - die Umsatzsteuerbeträge, die ihm von anderen Unternehmern im gleichen Zeitraum in Rechnung gestellt worden waren, sollte abziehen dürfen. Dieser Entwurf wurde vom Bundestag seinerzeit nicht mehr verabschiedet. In der laufenden Legislaturperiode ist aus der Mitte des Bundestags ein Entwurf v. 24. 12. 1965 (BT-Drucks. V/48) mit demselben Inhalt unter der Bezeichnung „Nettoumsatzsteuer" - ohne gesonderte Begründung - eingebracht worden. Über ihn beraten zur Zeit die zuständigen Ausschüsse.

10. Genügt demnach das UmsStG in seiner geltenden Fassung der vom Gesetzgeber selbst gewünschten Steuergerechtigkeit insoweit nicht, als es die Außenumsätze der einstufigen den Außenumsätzen der mehrstufigen Unternehmen ausnahmslos gleichstellt, so kann doch jedenfalls zur Zeit weder das Gesetz für nichtig erklärt noch eine Grundrechtsverletzung festgestellt werden. Dies gilt auch für die sonstigen von den Beschwerdeführerinnen gerügten Verfassungsverstöße, da sie im wesentlichen mit denselben Erwägungen begründet werden.

Die besonders große Bedeutung, die das UmsStG für die Einnahmen des Bundes, aber auch für die Selbstkosten der Unternehmen und die allgemeine Preisgestaltung hat, läßt es jedenfalls zur Zeit nicht zu, das ganze Gesetz nur deshalb für nichtig zu erklären, weil besondere, wenn auch nicht unbedeutende Gruppen gegenüber anderen viel zahlreicheren Gruppen ungleich behandelt sind; dies wäre vielleicht in einfach liegenden Fällen möglich, würde hier aber zu dem unerträglichen Ergebnis führen, daß dem Gesetz in dem unverhältnismäßig viel größeren Bereich die Geltung versagt werden würde, der von der hier zu entscheidenden Frage überhaupt nicht berührt ist. Eine Nichtigerklärung des ganzen Gesetzes haben die Beschwerdeführerinnen auch nicht begehrt.

Ebensowenig geht es aber an, das Gesetz nur in dem beschränkten Umfange, in dem die, hier erörterte ungleiche Belastung Bedeutung hat, für nichtig zu erklären. Eine solche Begrenzung der Nichtigkeit wäre nur theoretisch möglich. Praktisch läßt sich bei dem umfassenden Steuergegenstand eine Formulierung, die den nichtigen Teil von dem gültigen justiziabel abgrenzen würde, nicht finden.

Der Gesetzgeber selbst konnte bei der Unübersichtlichkeit und Vielschichtigkeit der tatsächlichen wirtschaftlichen Zusammenhänge und der Schwierigkeit, eine neue befriedigende Regelung zu finden, nicht wie in anderen, einfach liegenden Fällen durch eine rasche Entscheidung die Gleichheit in der einen oder anderen Richtung herstellen. Es blieb ihm keine andere Wahl, als das UmsStG in seiner durch den Wegfall der Ausgleichsermächtigung allerdings lückenhaft gewordenen Gestalt zunächst weiterbestehen zu lassen und so Zeit zu gewinnen, eine gesetzliche Regelung zu finden, die das gestörte Gleichgewicht der umsatzsteuerlichen Belastung wiederherzustellen geeignet war.

Schließlich ist für die einstufigen Unternehmen wie die Beschwerdeführerinnen die zeitweise Weitergeltung des Gesetzes bei der gegebenen Situation nicht völlig unerträglich. Daß auch sie wie die Vielzahl der Unternehmen, für die die hier zu entscheidende Frage ohne Bedeutung ist, zunächst weiter wie bisher ihre Umsätze zu versteuern haben, ist eine Selbstverständlichkeit. Nur die Verbesserung ihrer Wettbewerbslage, um die es den Beschwerdeführerinnen eigentlich geht und die innerhalb des geltenden Systems wahrscheinlich nur durch eine irgendwie gestaltete zusätzliche Besteuerung der mehrstufigen Unternehmen ermöglicht werden könnte, tritt nicht alsbald ein. Indes ist sie nur hinausgeschoben; sie wird aber, wie noch zu erörtern ist, in absehbarer Zeit verwirklicht werden. Diese sichere Aussicht allein muß sich schon heute dahin auswirken, daß ihre Wettbewerbslage, auf lange Sicht gesehen, verbessert erscheint.

11. Muß hiernach das UmsStG in seiner gegenwärtigen unvollkommenen Gestalt zunächst noch Bestand haben, so

sind seiner Weitergeltung, soweit es den Außenumsatz der einstufigen dem der mehrstufigen Unternehmen starr gleichsetzt, doch zeitliche Grenzen gesetzt.

Durch die Entscheidung des BVerfG v. 5. 3. 1958, die die zuvor nicht eindeutig erkennbare Unvereinbarkeit der Ausgleichsermächtigung mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ausgesprochen hat, war der Gesetzgeber vor eine neue und unerwartete Situation gestellt worden: Das gewählte Mittel, mit dem er eine nach seinen Vorstellungen gerechte Besteuerung der Außenumsätze der einstufigen und mehrstufigen Unternehmen erreichen wollte, war ihm genommen. Er mußte einen anderen, mit der Verfassung vereinbaren Weg suchen, um sein Ziel zu erreichen, sei es, indem er eine neue den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügende Ermächtigung erteilte, sei es, daß er andere gesetzgeberische Maßnahmen ergriff.

In welchem Umfange ein Ausgleich zwischen der verschiedenen umsatzsteuerlichen Belastung überhaupt erforderlich ist, um eine vernünftige Wettbewerbslage zwischen einstufigen und mehrstufigen Unternehmen sicherzustellen, liegt wegen der nicht leicht überschaubaren, vielschichtigen wirtschaftlichen Zusammenhänge innerhalb der einzelnen Wirtschaftszweige keineswegs klar auf der Hand; dies erhellt schon daraus, daß auch von der Ermächtigung der §§ 8 und 18 UmsStG nur sehr sparsam Gebrauch gemacht worden war. Die nach Klärung dieser Umstände erforderliche rechtliche Regelung begegnet weiteren, schwer überwindbaren Schwierigkeiten; eine Änderung der Grundstruktur des Gesetzes kann sehr weittragende und nicht immer sicher voraussehbare Folgen zeitigen. Wie groß die tatsächliche und rechtliche Differenziertheit der ganzen Materie ist, tritt erneut in den fachwissenschaftlichen Erörterungen und den gesetzgeberischen Beratungen in Erscheinung, die eine bessere Wettbewerbsneutralität durch die Einführung des Vorsteuerabzugs erstreben.

Die Erörterungen aller dieser Umstände brachten nur auf bestimmten Teilgebieten, wie z.B. dem des Großhandels, einen Ausgleich, führten aber letztlich zu der Überzeugung, daß im Rahmen des geltenden Systems keine Möglichkeiten bestünden, allgemein, etwa durch eine zusätzliche Besteuerung der mehrstufigen Unternehmen, die ungleiche Belastung mit Umsatzsteuer zu beseitigen oder wenigstens auf ein erträgliches Maß herabzusetzen. Daher hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen, das bisherige System der Allphasenbruttoumsatzsteuer überhaupt aufzugeben und eine Nettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug einzuführen, über die er zur Zeit berät. Dieses neue Umsatzsteuersystem ist nach den übereinstimmenden Angaben der vom Gericht gehörten Sachkundigen geeignet, die Wettbewerbsneutralität der Umsatzsteuer wesentlich zu verbessern.

Naturgemäß bringt eine solche Änderung des ganzen Systems die zeitraubende Aufgabe mit sich, daß die Grundsätze und die zahlreichen Einzelheiten mit Hilfe sachverständiger Stellen in jeder Hinsicht genau durchdacht und ausgearbeitet werden. Eine übereilte Regelung könnte zu nicht abzusehenden Nachteilen, wie etwa Unklarheiten oder neuer Unebenheiten in der Belastung führen, die bei einem Gesetz von der wirtschaftlichen und finanziellen Tragweite des UmsStG auch nicht vorübergehend in Kauf genommen werden könnten.

In Anbetracht dieser besonderen und einmaligen Situation muß die dem Gesetzgeber zuzubilligende Frist geräumig bemessen werden. Obgleich seit der Entscheidung des BVerfG v. 5. 3. 1958 mehr als 8 Jahre vergangen sind, kann die Frist noch nicht als abgelaufen bezeichnet werden. Dabei geht das BVerfG davon aus, daß der Gesetzgeber die begonnene Reform des Umsatzsteuerrechts ohne andere Verzögerungen als die, die sich aus der Natur der Sache oder aus der gebotenen Rücksicht auf die Steuerharmonisierung im Rahmen der EWG ergeben, weiterführt, sie in absehbarer Zeit abschließt und damit die hier erörterte Ungleichheit behebt.

III. Die vorstehend entwickelten Gründe müssen dazu führen, auch das besondere Institut der Organschaft zeitweise, nämlich bis zum Abschluß der allgemeinen Umsatzsteuerreform, weiterbestehen zu lassen.

1. Die Organschaft ist von der Rechtsprechung der Steuergerichte aus der Systematik des Umsatzsteuerrechts entwickelt worden. Ursprünglich war es selbstverständlich, daß juristische Personen des Privatrechts stets als Unternehmer und damit ihre entgeltlichen Lieferungen an Abnehmer als Außenlieferungen angesehen wurden. Diese Ansicht wurde allmählich aufgelockert und schließlich aufgegeben, weil „die zwingende Logik der wirtschaftlichen Tatsachen dazu nötige" (Popitz-Kloss-Grabower, Komm. z. UmsStG, 3. Aufl. 1928, S. 304). Die Rechtsprechung hat dabei folgende Überlegungen angestellt:

Die umsatzsteuerlichen Begriffe fielen nicht mit Begriffen des bürgerlichen Rechts oder der Gewerbeordnung zusammen, sondern seien besondere „steuerrechtliche Wirtschaftsbegriffe". Das für den Unternehmerbegriff im Sinne des UmsStG (§ 2 Abs. 1 Satz 1) erforderliche Begriffsmerkmal der Selbständigkeit bestimme sich daher lediglich nach wirtschaftlichen, nicht nach bürgerlich-rechtlichen Gesichtspunkten. Trotz zivilrechtlicher Selbständigkeit könne danach einer juristischen Person die Untemehmereigenschaft im Sinne des UmsStG wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit fehlen. Dies sei der Fall, wenn die Organgesellschaft als Teil eines fremden Gewerbebetriebs einem fremden Willen dergestalt untergeordnet sei, daß sie in ihrer Beteiligung am Wirtschaftsleben nur diesen fremden Willen verwirklichen könne und aufhöre, einen eigenen Willen zu haben. Deshalb sei eine juristische Person dann als unselbständig anzusehen, wenn sie „finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch, d.h. völlig" von einem Unternehmer abhängig sei (RFH Slg. Bd. 36, 39 [42 f.]).

Diese zunächst aus den Grundsätzen des Umsatzsteuerrechts von der Rechtsprechung und Rechtslehre entwickelte Rechtsfigur hat das UmsStG 1934 mit dem bezeichneten Wortlaut als § 2 Satz 2 ausdrücklich übernommen.

Im Sinne der „Entflechtung" setzte der Kontrollrat für die Zeit v. 1. 1. 1946 ab den § 2 Abs. 2 Nr. 2 UmsStG „außer Kraft" und erklärte die Lieferungen innerhalb eines Organkreises für umsatzsteuerpflichtig (Art. II des KRG 15). Da er dabei als beherrschendes Unternehmen ausdrücklich eine „Muttergesellschaft" bezeichnete, ließen die herrschende Lehre und die Rechtsprechung die Organschaft für den Fall bestehen, daß die „Mutter" eine natürliche Person oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts war.

Durch Art. 2 des 9. UmsStÄndG v. 18. 10. 1957 (BGBl. I 1743) wurde die Organschaft v. 1. 4. 1958 ab wieder in vollem Umfang eingeführt. Dabei stützte sich der Bundestagsausschuß für Finanz- und Steuerfragen auf den Begriff der Selbständigkeit der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit der Unternehmer, wie er durch die Rechtsprechung des RFH entwickelt war; außerdem wies er auf die „unerfreuliche Lage" hin, die durch die nur teilweise Aufhebung der Organschaft und die mannigfachen Ausnahmen für die entflochtene Industrie (vgl. VOen v. 10. 2. 1953 - BGBl. I 17 - und v. 7. 2. 1957 - BGBl. I 29 -) entstanden sei. Er hielt „aus systematischen Gründen und wegen der im Umsatzsteuerrecht herrschenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise" die Wiedereinführung der Organschaft für notwendig (BTDrucks. II/zu 3511 S. 6). Auf Grund des Ausschußberichts verabschiedete der Bundestag ohne weitere Aussprache das Änderungsgesetz einstimmig (BT II Sten. Ber. S. 12 767 [B]).

Nach dem Gesetz v. 18. 10. 1957 kam die Organschaft auch den juristischen Personen zugute, an denen das herrschende Unternehmen u.U. nur zu 51% beteiligt war. Das 11. UmsStÄndG v. 16. 8. 1961 - BGBl. I 1330 - engte die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Organschaft dahin ein, daß dem herrschenden Unternehmen mehr als 75% der Anteile oder Stimmrechte an der Organgesellschaft gehören müssen.

2. Diese Entwicklung zeigt, daß der Gesetzgeber mit der von den Beschwerdeführerinnen zu I bekämpften Wiederherstellung der Organschaft im Jahre 1957 die Absicht verfolgt

hat, die ursprüngliche Systematik des Umsatzsteuergesetzes, die durch die Maßnahmen der Besatzungsmächte gestört war, wiederherzustellen. Nach dieser Systematik liegt ein steuerpflichtiger Umsatz nur dann vor, wenn ein Unternehmer die Lieferung oder Leistung vollbringt; nur ein Unternehmer kann Steuerschuldner sein. Zum Begriff des Unternehmers gehört aber dessen Selbständigkeit; sie fehlt einer juristischen Person, die dem Willen eines - selbständigen - Unternehmers derart untergeordnet ist, daß sie keinen eigenen Willen hat. Dieser Systematik entspricht es, daß der Entwurf eines Nettoumsatzsteuergesetzes die Rechtsfigur der Organschaft beibehält - § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Entwurfs eines UmsStG (Nettoumsatzsteuer) v. 24. 11. 1965 (BTDrucks. V/48) in Verbindung mit Entwurf eines UmsStG v. 30. 10. 1963 (BTDrucks. IV/1590 S. 36) -, wobei allerdings ihre den freien Wettbewerb bisher beeinträchtigende Wirkung durch die Einführung des Vorsteuerabzugs entschärft wird.

Mag die Lieferung einer Organgesellschaft innerhalb ihres Organkreises zivilrechtlich auch als Außenlieferung erscheinen, umsatzsteuerrechtlich handelt es sich dabei nach dem Ausgeführten um eine Innenlieferung.

3. Bei seiner Zielsetzung, die Systematik des UmsStG wiederherzustellen, durfte der Gesetzgeber die Folge in Kauf nehmen, daß er den Kreis der durch die geltende Gestalt des UmsStG Begünstigten erweitert und damit die Wettbewerbslage der einstufigen Unternehmen noch weiter beeinträchtigt hat. Demgegenüber würde die Nichtigerklärung der Organschaft allein unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Systems im ganzen zu dem unerwünschten Ergebnis führen, daß innerhalb des Bereichs der großen mehrstufigen Unternehmensgebilde die Einheitsgesellschaften vor den Konzernen ohne zureichenden Grund begünstigt und damit wirtschaftlich gleiche Vorgänge nur wegen ihrer formalrechtlich verschiedenen Ausgestaltung verschieden behandelt würden. Daher erscheint es sachgerecht, in die Aufrechterhaltung des UmsStG auch die Organschaft einzubeziehen; dies um so mehr, als der Gesetzgeber, wie erwähnt, beabsichtigt, die Rechtsfigur der Organschaft bei der Reform des Umsatzsteuerrechts zu übernehmen.


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